Sonntag, 25. Januar 2015

Brief an Herrn Stocker


Sehr geehrter Herr Stocker

Ich schreibe Ihnen diesen Brief, weil ich Ihnen meine Gedanken zur Situation zwischen David und Ihnen mitteilen möchte. Das Erpressen eines anderen Menschen finde ich grundsätzlich unrechtmässig und unverständlich, egal unter welchen Bedingungen. Trotzdem kann ich teilweise verstehen, dass Sie bei dieser Ausgangslange diesen Weg wählten, damit Sie Ihre schlechte Situation im Männerheim verbessern konnten. Ich finde es frech, ja respektlos, dass David diesen persönlichen Abschiedsbrief Peter Weilands, also dieses Buch, veröffentlichte. Ich kann es überhaupt nicht verstehen, wieso er nicht einfach ehrlich sein konnte. Sie hatte das bestimmt auch getroffen. Durch Ihre Erpressung ist David nicht einfach reibungslos mit seiner Lüge durchgekommen, das finde ich eigentlich ganz richtig so, denn sonst hätte er diese vielleicht sogar einfach und erfolgreich verdrängen können. Ich finde auch, dass es Ihnen eher zusteht, durch das Buch Geld zu verdienen, denn es war Ihr engstehender Freund und nicht derjenige Davids. Sie hätten aber sicher auch eine moralisch korrektere Lösung finden können, um Recht in dieses Unrecht zu bringen. War es für sie wirklich richtig so oder hatten Sie nicht auch manchmal Gewissensbisse? ... vielleicht ihrem Freund Peter oder auch Marie gegenüber? Finden Sie nicht, es wäre besser gewesen, den Leuten die Wahrheit zu erzählen? Und, um es auf der banalen Ebene anzusehen, glauben sie nicht auch, dass Sie mit dieser Geschichte mehr im Rampenlicht hätten stehen können? Mich beschäftigt ihr Handeln. Ich sehe die Beweggründe, und trotzdem kann ich mich nicht ganz damit abfinden, dass Menschen nur dem Geld zuliebe so unehrlich handeln. Da sind Sie nur ein Beispiel. Ich glaube von mir behaupten zu können, dass ich „besser“ gehandelt hätte. Anstelle einer Erpressung, hätte ich David zunächst ebenfalls konfrontiert, jedoch dann, nach dem Offenlegen aller Tatsachen und meiner Betroffenheit über Davids Betrug, gemeinsam mit David eine bestmögliche Lösung gesucht, welche für alle Beteiligten, auch für die Verstorbenen, angepasst wäre.  Mein Bestreben wäre es gewesen, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Die verrückte Geschichte, welche hier das Leben schrieb, ist ja bereits wieder eines Buches würdig, welches der wirkliche Erstling von David werden könnte. Dadurch käme die Wahrheit ans Licht.

Sie wirken auf mich sehr gefitzt und irgendwie, aus unerklärlichen Gründen, sind Sie die einzige Figur in diesem ganzen Roman, welche mir noch ein wenig sympathisch ist. Wenn ich das ganze einmal aus Ihrer Sicht anzuschauen versuche, denke ich, dass sie einfach die Gelegenheit nutzten, in Ihre alten Tage noch etwas Schwung zu bringen. Das gefällt mir. Ich meine die Chance auf ein besseres Leben stand direkt vor Ihrer Tür und Sie haben sie einfach genutzt, ohne sich irgendwelche moralischen Gedanken dazu zu machen. Ich kann mir auch vorstellen, dass es Ihnen eigentlich ziemlich egal war, wie es den anderen ging, Hauptsache Sie mussten nicht mehr in dieses muffige, hustende Männerheim zurück. Es wirkt zumindest so auf mich. Vielleicht hatten Sie sich auch im Verlaufe Ihres Lebens einfach abgehärtet, durch irgendwelche Idioten, die auch einfach in Ihrem Leben rumgetrampelt sind. Aber wie gesagt, finde ich diese Erpressung nicht richtig.

Ich habe mir viele Gedanken über Ihre Hintergründe und Ihr Handeln gemacht und glaube auch, Sie richtig zu verstehen, aber ich frage Sie jetzt trotzdem:

Würden Sie diesen Weg wieder wählen?

Herzlichen Dank und mit freundlichen Grüssen

Romina
 

 

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